Erlebnisbericht

 

 von Josef Gleißner aus Ringelberg, Kreis Tachau, Egerland

Ein Andenken an die Bevölkerung der kleinen Gemeinde unserer Heimat

 

1. Vorwort zum Erlebnisbericht und der Gefallenenchronik

2. Inhaltsverzeichnis

3. Herbst 1944: Operation „Market Garden“

4. Der Sturm bricht los – Erlebnisbericht eines gerade erst Siebzehnjährigen

 

 

 1. Vorwort

Es war nicht leicht nach über 50 Jahren eine Gedenkschrift für die Gefallenen der ehemaligen Gemeinde Ringelberg aufzulegen, weil nach unserer Vertreibung die erforderlichen Unterlagen nur mit viel Mühe und großem Aufwand beschafft werden konnten. Ich entschloß mich es dennoch zu wagen, weil mich ein junger Mann, dessen Vater als einer der ersten unseres Dorfes in Rußland gefallen war, herzlichst darum gebeten hat. Seine Mutter hat sich zeitlebens von ihren Schicksalsschlägen nie richtig erholt und ihm nur wenig von den Ereignissen der damaligen Zeit erzählt.

 

Es freut mich persönlich sehr, daß unsere Enkel an der Vergangenheit stärker interessiert sind, als ihre Eltern. Sie legen Wert darauf, von der Erlebnisgeneration mehr über das Geschehene zu erfahren. Aber dazu bleibt nicht mehr viel Zeit. Somit ist dieser Bericht nicht nur für die betroffenen Angehörigen, sondern auch für ihre Nachkommen niedergeschrieben worden. Denn wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

 

Mit diesen Aufzeichnungen soll kein unheilvoller neuer Nationalismus geschürt werden. Deutlich anzumerken ist, daß der folgende Bericht keine Verherrlichung des Krieges sein soll. Doch gerade wir Sudetendeutsche dürfen gegenüber unserer Geschichte nicht gleichgültig sein. Vor allem deshalb, weil neuerdings Bestrebungen im Gange sind, uns Heimatvertriebene auch noch aus der Geschichte zu vertreiben. Aus der Heimat konnte man uns mit Gewalt vertreiben, aus der Geschichte wird es nur gelingen, wenn w i r dies zulassen!

 

Wir Überlebende sind gehalten, eine bessere Welt ohne Gewalt und Haß aufzubauen. Vor allem wir Heimatvertriebenen haben die Pflicht, alles festzuhalten, was erinnerungswürdig ist. Mit unserem, von gewissen Kreisen sehnlichst erwarteten Ableben sterben die letzten Zeitzeugen aus. Bereits heute wird krampfhaft versucht, unter das Unrecht unserer Vertreibung einen Schlußstrich zu ziehen, obwohl man weiß, daß die Geschichte keinen Schlußstrich kennt. Diese Tatsache müssen auch die Anpasser zur Kenntnis nehmen. Als Nichtbetroffene haben sie kein Recht, für uns dies zu tun.

 

Dieser Bericht hat nichts mit irgendeiner Begeisterung für den Endkampf am Niederrhein im Februar / März 1945 zu tun. Er soll vor allem eine Mahnung für unsere Jugend und die kommenden Generationen sein. Die Erlebnisse habe ich bereits im Jahre 1946 in britischer Kriegsgefangenschaft festgehalten. Nach so langen Jahren mußte ich auch auf Quellen zurückgreiffen, die nur in Archiven, bei Institutionen, militärischen Forschungsstellen, Heimatmuseen usw. zu finden sind. Einige Kartenskizzen und Fotografien ergänzen den Ablauf des Desasters.

 

Ich gedenke mit diesem Bericht dabei auch meiner gefallenen Kameraden, die auf so unsinnige Weise ihr junges Leben lassen mußten. Der größte Teil von ihnen war erst 17 oder 18 Jahre alt. Die meisten der jungen Soldaten haben in den Kriegsgräberstätten Weeze, Donsbrüggen, beim Kloster Mörnter und in Bienen, Kreis Wesel ihre letzte Ruhestätte gefunden. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die zuständigen Gemeinden betreuen diese Gräber würdevoll und in anerkennenswerter Weise. Viele Bürger haben sich dabei gemeinnützig betätigt. Allen ehrenhalber tätigen Helfern gilt mein Dank und meine Anerkennung.

  

Josef Gleißner

Geretsried, im Juli 1998

2. Inhalt

  

Die Ereignisse im Herbst 1944: Operation „Market Garden“

Entscheidung am Niederrhein
(das gnadenlose Inferno der alliierten Offensiven am unteren Rhein)

Der Sturm bricht los
(Erlebnisbericht eines gerade erst 17jährigen)

Die Reichswaldoffensive und der Wesel – Brückenkopf
Kennwörter der Alliierten: “Veritable und Blockbuster“

Die US – Amerikaner an der Rur (Roer) und Erft
Kennwort: „Grenade“

Der Übergang der Briten über den Rhein: Operation „Plunder“
Alliierte Kennwörter: „Flashpoint, Turnscrew, Torchlight und Widgeon“

Die Luftlandung der Alliierten im Diersfordter Forst, Kreis Wesel
(rechts desRheins), Luftlandung Kennwort: „Varsity“

 

3. Herbst 1944: Operation „Market Garden“

Am 17. September 1944 landeten anglo- amerikanische Luftlandetruppen im Raum Arnheim – Nimwegen1 in Holland, um den Weg in das Herz der deutschen Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet freizumachen. Das unter dem alliierten Kennwort „Market Garden“ gestartete Unternehmen scheiterte jedoch aus vielerlei Gründen, über die an anderer Stelle ausführlich berichtet worden ist. Es war klar, daß sich die westlichen Alliierten dort wieder betätigen würden, um dem Deutschen Reich von Westen her den Todesstoß zu versetzen. Aber der Winter kam dazwischen.

Die Briten hatten bei Venlo entlang der Maas, die Kanadier bei Nimwegen am Waal eine Verteidigungslinie errichtet, die sie unter großen Opfern aufrecht erhalten konnten. Die Vorbereitungen zum Angriff auf das 3. Reich liefen trotzdem in vollem Umfang weiter. „Diesmal muß der Durchbruch gelingen, koste was es wolle“, sagte der britische Feldmarschall Bernard L. Montgomery, Oberbefehlshaber der britischen und kanadischen Armee und der 21. alliierten Heeresgruppe in Europa (genannt Monty). Er schlug vor, im Bereich Wesel und Arnheim über den Rhein vorzustoßen. Der Oberbefehlshaber der westlichen alliierten Truppen in Europa, US – General Dwight D. Eisenhower, stimmte dem Vorschlag notgedrungen zu, denn es gab in letzter Zeit immer wieder Differenzen wegen der strategischen Vorgehensweise mit „Monty“.

Zehn amerikanische Divisionen wurden den Briten unterstellt, was bei den US – Amerikanern was geheißen hat. Die Amerikaner sollten an der Rur, einem Nebenfluß der Maas, und an der Erft angreifen, um die britische Offensive in der Rheinebene zu unterstützen. Den Oberbefehl über die Aktion „Veritable“ übernahm der Befehlshaber der 1. Kanadischen Armee, General Henry Duncan Crerar, 57 Jahre alt und nicht bei bester gesundheitlichen Verfassung. Ihm unterstanden insgesamt 470 000 Mann. In drei Phasen – zuerst im Reichswald, dann im Raum Goch und schließlich im Raum Kalkar – Xanten – sollten 500 Panzer und weitere 500 Kettenfahrzeuge (überwiegend Amphibienfahrzeuge) sowie über 1 000 Geschütze an der Offensive teilnehmen. Eintausend Jäger und Jagdbomber (Jabos) sowie 90 Nachtjäger sollten ebenfalls zum Einsatz kommen. Mit dieser Streitmacht mußte es möglich sein, die dünnbesetzten Linien der Deutschen aufzubrechen, was auch mit großer Mühe gelang.

Die Verteidigung des Abschnittes auf deutscher Seite wurde der 84. Infanterie – Division (84. ID) übertragen, die nur unter großer Mühe einen kampffähigen Verband bilden konnte, weil der Kader überaltert war. Das 2. Fallschirmjäger – Regiment (FJR) wurde der 84. ID zur Verstärkung zugeteilt und unterstellt. Die Verteidigung des Reichswaldes und des Niederrheins schien somit gesichert. Jedoch war Deutschland am Unterlauf des Rheins (Niederrhein) militärisch verwundbar, was unsere Armeeführung nicht glauben wollte. Man war der Meinung, daß im Notfall dieses Marschland unter Wasser gesetzt und dadurch der Vormarsch der Alliierten gestoppt werden könnte. Dies sollte sich noch als verhängnisvoller Irrtum erweisen. Die Kanadier hatten nämlich auf dem Gebiet der Amphibienoperationen sowohl in der Normandie als auch an der Scheldemündung schon große Erfahrungen gesammelt.

In den Stäben der Deutschen Wehrmacht blühten die tollsten Spekulationen über die kommenden Ereignisse. Den sicher kommenden Angriff erwartete man etwa 30 km südlicher, aus der Gegend von Roermond her. Die Rheinebene war ihrer Meinung nach für einen Blitzvorstoß nicht geeignet. Nur der Fallschirmjäger (FJ) – General Schlemm war anderer Meinung und sollte Recht behalten. Er war als guter Stratege bekannt und hatte während des bisherigen Krieges große militärische Erfahrungen gesammelt. Im Reichswald, woher der Angriff dann wirklich kam, waren nur zwei schmale Straßen vorhanden, die noch dazu von Norden nach Süden verliefen. Es gab dort lediglich einige Fahr- und Reitwege, die aber für schwere Waffen nicht geeignet waren. Das Gelände im Wald war unwegsam und nur für Fußtruppen tauglich. Und gerade von dort, für die Stäbe unserer Heeresleitung unbegreiflich, kam der Angriff. Die deutschen Strategen haben sich ganz erheblich getäuscht. Das dahinterliegende Land , der nördlichste Teil des sogenannten Westwalls, war mit ausgebauten Stellungen durchzogen, was zunächst zu unserem Vorteil gereichte. Panzergräben, Fliegerabwehrkanonen (Flak), Laufverbindungsgräben mit Maschinengewehrstellungen, Granatwerferstellungen waren vorhanden, aber wegen des Winters in teilweise schlechtem Zustand. Die gut ausgebauten Gräben waren streckenweise voll Wasser und vom Regen aufgeweicht. Unmittelbar an der Front gab es auch Minenfelder, die meisten vor dem Reichswald auf holländischem Gebiet. Die vorderste Linie bildete die 10 – 15 km lange sogenannte Hollandstellung, im Reichswald war eine 2. und 3. Verteidigungslinie vorbereitet. Wie sich bald herausstellte, nutzte dies alles letzten Endes nichts. Bomber, massiv eingesetzteArtillerie und der Winter haben fast alles zerstört, was uns Schutz gewähren sollte.

1 Anm. d.Verf.: holländisch Nijmegen, niederrheinisch Nymwegen, im Folgenden wird die deutsche Schreibweise verwendet.

7. Februar 1945 spätabends: Der ganze Kreis Kleve brennt (QU1 S.48)

4. Der Sturm bricht los – Erlebnisbericht eines gerade erst Siebzehnjährigen

 

1. Entscheidung am Niederrhein

Anfang Februar 1945

An der Maas, wo wir an der Front lagen, herrschte das zu dieser Jahreszeit obligatorische neblige und trübe Wetter. Das war gut so, denn die Royal Air Force (RAF) konnte deshalb keine Einsätze fliegen und wir hatten wenigstens aus der Luft keine Angriffe zu erwarten, denn die gegnerische Artillerie (Ari) setzte uns unheimlich zu. Seit der gescheiterten Ardennen – Offensive war von unserer Luftwaffe nichts mehr zu sehen. Die RAF hatte im ganzen Westen die Luftherrschaft errungen. Nur die sogenannte V 1 (Vergeltungswaffe), ein Stummflügelgeschoß mit einem 850 kg Gefechtskopf, 640 km/h schnell, wurde in großer Anzahl gegen Antwerpen, Lüttich und Brüssel abgefeuert. Diese Ungeheuer flogen direkt über unsere Köpfe hinweg. Einige von ihnen wurden mit Hilfe eines neuentwickelten Annäherungszünders der Amerikaner von der alliierten Flak zur Strecke gebracht. Ihr heulendes Getöse war entsetzlich anzuhören und es wurde uns mulmig dabei. Besonders der rückwärtige Feuerstrahl des flugzeugähnlichen Geschosses prägte sich in unser Gedächtnis ein.

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